Mag. Stephanie Hofbauer: „Geschichte mit allen fünf Sinnen erleben“
Ein Artikel in den Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN) verschaffte ihrer wissenschaftlichen Diplomarbeit größere Aufmerksamkeit: Stephanie Hofbauer befasst sich mit ihrer an der Universität Wien vorgelegten Arbeit mit dem Erbe und dem Ist-Zustand der schwierigen österreichisch-tschechischen Nachbarschaft. Im Interview mit kurs-ost-west.com spricht sie sich u.a. für eine Hinführung an die Thematik schon in der Volksschule aus: auf beiden Seiten der Grenze, die ja seit 1989 keinen Eisernen Vorhang mehr hat. Über Gemeinsamkeiten, Mißverständnisse und immer noch bestehendes historisches Unrecht.
Kurz und knapp gefragt: Worum geht es in Ihrer Diplomarbeit? Was ist Ihr Forschungsgegenstand?
Meine Forschungsarbeit befasst sich mit der Geschichte entlang der österreichisch-tschechischen Grenze seit 1945 mit Fokus auf das Retzer Land und den Okres Znojmo. Dabei habe ich die Arbeit in zwei Teile aufgegliedert: Teil A befasst sich mit historischen Inhalten (Vertreibung - Eiserner Vorhang - Grenzfall) und Teil B berichtet von grenzübergreifenden Wirtschafts- und Schulprojekten (z.B. die Entstehung der Excalibur City und damit verbundene Wirtschaftskonflikte mit der Retzer Gemeinde).
Wie kann es sein, dass Unrecht – wie die Benesch-Dekrete – immer noch gilt? Warum möchten tschechische Regierungen davon nicht Abstand nehmen? Erwarten Sie sich hier Bewegung auf tschechischer Seite?
Die Tatsache, dass die Benesch-Dekrete immer noch gelten, hat meiner Meinung nach sogar sehr viel mit Abstandnehmen zu tun – Abstand vom Geschehen auf beiden Seiten der Grenze oder anders gesagt: Die Vertreibungsgeschichte gerät zunehmend in Vergessenheit, da sie in Schulen nicht an die Generationen danach weitergegeben wird.
Vielmehr konzentrieren sich Institutionen auf beiden Seiten der Grenze auf die Schaffung eines gemeinsamen Europas.
Erwähnenswert sind dabei jährlich stattfindende Gedenkfeiern, die sich mit der Vertreibungsgeschichte auseinandersetzen. Diese gehen mit viel Folklore und Pathos einher, wobei eine Tendenz in Richtung einer gemeinsamen tschechisch-deutschen/österreichischen Erinnerungskultur seit Mitte der 2010er Jahre zu verzeichnen ist.
Als Meilenstein des gemeinsamen Gedenkens an die Vertreibung wird seit 2015 der „Marsch der Versöhnung“ offiziell durch die Stadt Brno unterstützt.
Sie haben 14 Gedenkstätten und Projektschauplätze besucht: Wie beurteilen Sie den aktuellen Status der Gedenkpolitik? Gibt es hier einen Trend?
Bezüglich der besuchten Gedenkstätten und Schauplätzen habe ich folgende Trends verzeichnen können: Während ich auf der tschechischen Seite der Grenze in Museen und Gedenkstätten digitale Tools und Aktivitäten für Kinder und Jugendliche vor Ort vorfinden konnte, habe ich in österreichischen Gedenkstätten vorwiegend textlastig aufbereitete Inhalte erlebt, die historisches Vorwissen voraussetzen.
Für beide Länder gilt: In Museen und Gedenkstätten, die über 20 Jahre alt sind, entdeckte ich ausschließlich Informationstafeln in der jeweiligen Landessprache. Diese Museen sind demnach weniger bekannt im Nachbarland.
Wie erklären Sie es sich, dass das Bewusstsein für sudetendeutsche Geschichte im österreichischen Grenzgebiet erst jetzt – euphemistisch gesprochen – „erwacht“?
Es ist ein Phänomen in (Zeit-)Geschichte, dass einige Jahrzehnte vergehen, bis ein Thema aufgearbeitet wird. Besonders im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen und ethnischen „Säuberungen“ ist es allgemein bekannt, dass die betroffene Generation über die Ereignisse schweigt. Daneben existieren selbstverständlich auch Zeitzeug:innen, die ihre Erlebnisse weitergeben, doch die Zahl dieser Zeitzeug:innen wird mit jedem Jahr weniger. Umso wichtiger wird es, dafür zu sorgen, dass Wissen nicht verloren geht.
Wie haben Sie die Aufnahme Ihres Vortrages im Museum Retz im Oktober 2024 erlebt? Wird jetzt erst über „heiße Themen“ geredet? Immerhin, 35 Jahre, also: etwa fast zwei Generationen nach der Grenzöffnung? Wie sieht das Ihre Generation?
Der Vortrag im Retzer Museum war eine sehr positive Erfahrung für mich und ich freute mich darüber, dass Besucher:innen von beiden Seiten der Grenze zu diesem Vortrag gekommen waren und im Anschluss sehr interessiert an der Diskussion teilnahmen! Besonders toll war die Zusammenarbeit mit meinem Dolmetscher Petr Eckl, der es möglich machte, den Vortrag zweisprachig abzuhalten.
In Znojmo werde ich denselben Vortrag im Februar 2025 halten. Dabei rede ich auch über „heikle Themen“, wie etwa den längst vergessenen Todesfall Josef HEINRICH, der vor über 60 Jahren in Retzbach einen Spaziergang mit seiner Familie unternommen hatte und dabei ums Leben gekommen war. Heute erinnert nichts mehr an die Zeit des „Eisernen Vorhangs“, stattdessen lädt der um 2016 errichtete Grenztisch zum gemeinsamen Treffen an der österreichisch-tschechischen Grenze ein.
Dies ist auch der Grund, warum ich meine Generation eher so erlebe, dass wenig bis gar nicht über den „Eisernen Vorhang“ diskutiert wird, da dieser nur, wenn überhaupt, durch Erzählungen bekannt ist. Deswegen empfehle ich auf jeden Fall, den Nationalpark Podyjí in Čížov zu besuchen, da dort sehr gut erhaltene Relikte des „Eisernen Vorhangs“ zu sehen und zu erleben sind, speziell, um diesen Teil der Geschichte für die Generation danach mit allen fünf Sinnen begreifbar zu machen.
Wie könnten die Retzer wie auch die Znaimer Schüler für die Geschichte, das Leben und das Wirken der Sudeten pädagogisch interessiert werden?
Wie bereits erwähnt, vertrete ich den Ansatz, dass Geschichte mit allen fünf Sinnen erlebt werden darf, soll und muss, um Schüler:innen für den Unterricht zu begeistern.
Beispielsweise gebe ich den Schüler:innen den Auftrag, ihre wichtigsten Habseligkeiten zu Hause zusammenzupacken, wobei das Gepäck 30 kg nicht überschreiten sollte. Sie sollen sich dabei vorstellen, dass sie ihre Heimat verlassen müssen. Dabei fallen den Kindern oft Tricks ein, um diese 30 kg-Grenze ein wenig auszuweiten, indem sie mehrere Shirts übereinander anziehen. – Die Vertriebenen haben oft dieselben Strategien angewandt.
Welche Zukunft des Zusammenlebens gibt es – zwischen Österreichern und Tschechen?
Ich hoffe, dass die grenzübergreifende Zusammenarbeit mit jeder Generation besser funktioniert. Um eine solche Zukunft zu fördern, bemüht sich zum Beispiel der grenzübergreifende Kindergarten in Mitterretzbach. Dabei werden den Kindern aus dem Retzer Land und dem Okres Znojmo schon in frühester Kindheit die Kultur und Sprache des jeweils anderen Nachbarlandes kindgerecht und spielerisch vermittelt.
Und zuletzt: Wie geht die Geschichte mit Josef Heinrich eigentlich aus? Oder sollten wir das lieber nicht verraten?
Zunächst ist es mir wichtig zu sagen, dass ich als Lehrerin einen Bildungsauftrag habe und die Unterhaltung des Publikums maximal ein netter Nebeneffekt ist. Um das Spoilern sollte ich mir also nicht zu viele Gedanken machen ;)
Ich möchte so viel verraten: Josef Heinrich war aus Sicht eines tschechischen Grenzsoldaten der tschechischen Grenze zu nahe gekommen – und zwei Schüsse fielen.
Heinrich wurde im Krankenhaus Znojmo versorgt und kehrte – wider Erwarten – zwei Wochen später in einem Sarg nach Österreich zurück. Die daraus entstehenden Konsequenzen kann man in meiner Masterarbeit nachlesen.
Herzlichen Dank für das Interview, Frau Mag. Hofbauer! Bitte halten Sie uns über Ihre weitere Forschungsarbeit informiert.
In der Wiedergabe des schriftlich geführten Interviews wurden die (großteils gegenderte) Schreibweise Hofbauers und auch die Ortsbezeichnungen in tschechischer Sprache sowie die Anführungszeichen beibehalten – es darf angenommen werden, dass dies wohl dem Umstand geschuldet ist, dass die Universität gewisse (gegenwärtig – noch – geläufige „politisch korrekte“/„woke“) Regelungen vorgibt.